Sonntag, 20. März 2016

Die Ehefrauen Heinrichs VIII., Teil IV: Anna von Kleve


Bildnis Heinrichs VIII. vom niederländischen Maler Job van Cleve  (um 1535)

Dieses Bild zeigt den schon fast legendären englischen König Heinrich VIII. (1491-1547). Bekannt wurde er unter anderem dafür, dass er die Reformation in England entscheidend vorantrieb, aber auch für seine insgesamt sechs Ehen, von denen zwei mit der Enthauptung seiner Gattinnen endeten. Während meistens Heinrich selbst im Fokus der Aufmerksamkeit steht, werden wir uns in unserer kurz!-Reihe mit seinen Ehefrauen beschäftigen. Im Mittelpunkt des vierten Teils dieser Reihe steht Anna von Kleve (1515-1557), die Heinrich VIII. im Januar 1540 zu seiner vierten Ehefrau machte.

Anna von Kleve wurde 1515 als zweitälteste Tochter des Grafen Johann III. von Jülich-Kleve-Berg und seiner Frau Maria von Jülich-Berg in Düsseldorf geboren. Ihre Eltern ließen ihr, anders als ihr adeliges Umfeld es vielleicht erwarten lässt, insgesamt keine besondere Erziehung zukommen. So beherrschte sie außer dem Niederdeutschen keine weitere Sprache, konnte weder singen, noch ein Instrument spielen. Die Erziehung Annas war vielmehr beeinflusst von dem resoluten und konservativen Wesen ihrer Mutter. Deswegen wurde Anna schon als Kind in ihrem Umfeld als eher scheu, unterwürfig und aufgrund der nur unzureichend erhaltenen Bildung als unwissend wahrgenommen.

Als Anfang des Jahres 1538 der beinahe 50-jährige englische König Heinrich VIII. auf der Suche nach einer neuen Ehefrau auch Werbungsversuche am Niederrhein unternahm, waren die europäischen Königshöfe zunächst überrascht; konnte Annas Stammbaum doch bis auf die Hochzeit zwischen König Eduard I. und Eleonore von Kastilien väterlicherseits nur eheliche Verbindungen zu den Adelsfamilien in der näheren niederrheinischen Umgebung vorweisen und keine weitere königlich-englische Herkunft. Die für einen König augenscheinlich eher als ungewöhnlich wahrgenommene Suche nach einer Ehefrau am Niederrhein war dabei auch weniger von Heinrich selbst, als vielmehr vom englischen Staatsmann und Vertrauten des Königs Thomas Cromwell (1485-1540) geplant worden, während der König selbst in der noch nicht einmal 20-jährigen verwitweten Christina von Dänemark oder in Marie de Guise passende Heiratskandidatinnen sah. Dass Heinrich VIII. 1537/38 dennoch um die fast 23-jährige Anna von Kleve warb, hatte vor allem politische Gründe: Die Fehde zwischen Kaiser Karl V. und König Franz I. von Frankreich um die Vorherrschaft in Europa neigte sich dem Ende zu und in Nordengland wurden Rebellen, die sich 1539 zu einer antienglischen Allianz zusammenschließen sollten, von Papst Paul III. unterstützt, der Heinrich VIII. im Dezember 1537 mit dem Kirchenbann belegt hatte. England stand so ohne Verbündete und in Europa politisch isoliert da. In dem aufstrebenden Herzogtum Kleve witterte Thomas Cromwell mit Annas Vater, Johann III., einen neuen Verbündeten.

Cromwell ließ direkt Nachforschungen zu Anna anstellen und beauftrage den englischen Botschafter im Kurfürstentum Sachsen, Christopher Mont, Interesse des englischen Königs an der Tochter des Herzogs von Kleve anzumelden. Da Annas Vater im Februar 1539 verstarb, fielen die Verhandlungen über eine mögliche Verheiratung in die Hände ihres Bruders Wilhelm V. und ihrer Mutter Maria. Während ihr Bruder von einem Bündnis mit England sehr angetan war, warnte ihre Mutter vor diesem und hielt Heinrich VIII. für zu verwöhnt, rücksichtslos und tyrannisch für ihre Tochter. Da der König nicht allein auf die Berichte über Anna, die ihm fortlaufend von Cromwell übermittelt und mit der wachsenden Dringlichkeit einer Hochzeit auch immer positiver wurden, vertrauen wollte, bat er diesen, ein Porträt von seiner potentiellen Braut anfertigen zu lassen. Im Jahr 1539 reiste deshalb der königliche Hofmaler Hans Holbein der Jüngere, der auch schon ein Porträt von der an Heinrich nicht interessierten Christina von Dänemark gemalt hatte, an den Niederrhein, um ein Porträt von Anna und 'vorsichtshalber' ihrer ebenfalls unverheirateten jüngeren Schwester Amalia (1517-1586) anzufertigen.

Porträt Annas von Kleve von Hans Holbein dem Jüngeren  (1539)
https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_von_Kleve#/media/File:AnneCleves.jpg

Dieses Porträt war vermutlich der ausschlaggebende Grund dafür, dass Heinrich nun keine andere als Anna von Kleve zu seiner zukünftigen Ehefrau machen wollte, denn bereits im November desselben Jahres wurde ein Ehevertrag geschlossen und noch im selben Monat brach Anna in Begleitung von 236 Personen nach England auf. Am 11. Dezember 1539 wurde sie in Calais empfangen und konnte jedoch die für den darauffolgenden Tag geplante Weiterreise aufgrund unwetterartiger Stürme erst am 27. Dezember fortsetzen, wodurch die Ungeduld des in Greenwich wartenden Königs gesteigert wurde. In Dover angekommen, wurde Anna vom Herzogspaar von Suffolk über Canterbury nach Rochester begleitet, das sie am 31. Dezember 1539 erreichte. Da das erste Zusammentreffen mit dem König erst für den 3. Januar geplant war, König Heinrich VIII. in Greenwich aber zu ungeduldig war, um auf diesen Tag zu warten, reiste er zusammen mit fünf Vertrauten seiner zukünftigen Ehefrau entgegen. Die zeitgenössische Chronik Charles Wriothesleys (1508-1562) berichtet von diesem Treffen: 
[O]n New Year's daie at afternoune the Kinges Grace, with five of his Privie Chamber, being disguysed with clookes of marble with hoodes, that they should not be knowen, came privelie to Rochester, and so went up into the chamber where the said Ladie Anne looked out at a wyndowe.
Außerdem überliefert die Chronik, dass König Heinrich auf sie zuging, „embraced her and kissed, and shewed her a token […] for her Newe Yeares gift“. Anna war von dieser Situation vollkommen überrascht. Sie sprach weder Englisch, noch erkannte sie ihren zukünftigen Ehemann und insgesamt muss die Situation auf sie mehr den Eindruck einer Entführung gemacht haben. Dennoch bedankte Anna sich für das Geschenk und aus der Chronik kann man schon fast Desinteresse herauslesen, wenn es weiter heißt, dass sie „alwaies looked out of the wyndow“. Heinrich VIII. war von diesem ersten Zusammentreffen enttäuscht und vor allem über das respektlose Verhalten seiner baldigen Ehefrau erzürnt. So äußerte er nur kurze Zeit nach diesem ersten Aufeinandertreffen gegenüber Thomas Cromwell, dass er Anna nicht möge und sie insgesamt nicht „so well as she was spoken of“ fände. Ein zweites Zusammentreffen fand am Folgetag statt. Allerdings konnte dieses den englischen König auch nicht von Anna überzeugen.

Die für den 4. Januar geplante Heirat mit ihr ließ Heinrich VIII. um zwei Tage nach hinten verschieben, weil er den Wunsch hatte, aufgrund eines lange zurückliegenden Eheversprechens zwischen Anna und Franz I. von Lothringen, vom Ehevertrag zurückzutreten. Nachdem Anna jedoch schriftlich erklärt hatte, nicht anderweitig gebunden zu sein, fand die Heirat zwischen Anna von Kleve und König Heinrich VIII. am 6. Januar 1540 statt. Kurz vorher soll Heinrich sich so über die bevorstehende Heirat geäußert haben: „If it were not to satisfy the world and my realm I would not do that I must do this day for none earthly thing.“ Während Thomas Cromwell davon überzeugt war, dass Anna und Heinrich durch die Hochzeit näher zu einander finden könnten, stieg die Ablehnung des Königs jedoch nur weiter an. Am Morgen nach der Hochzeitsnacht stellte er fest, dass er Anna vor der Hochzeit nicht gemocht habe und sie deshalb auch danach nicht mögen könnte. Dies hängt direkt damit zusammen, dass Heinrich nach der Hochzeit vier Nächte bemüht war, die Ehe zu vollziehen. Als der Ehevollzug auch nach der vierten Nacht ausblieb, zweifelte Heinrich nicht nur die Jungfräulichkeit Annas an, sondern entschloss sich auch dazu, dass die „which struck me so to the heart [...] that I had neither will nor courage to proceed any further in other matters.“ Anna selbst zeigte sich gegenüber ihren Hofdamen immer irritiert über das nächtliche Verhalten ihres Mannes: „Why, when he comes to bed, he kisses me and taketh me by the hand and biddeth me, "Goodnight, sweetheart"; and in the morning [he] kisses me and biddeth me, "Farewell, darling".

Spätestens seit Ostern des Jahres waren Vertraute des Königs damit beschäftigt, Mittel und Wege zu finden, um eine Scheidung des Königs von Anna zu erwirken. Heinrich selbst betonte dabei immer wieder, dass die Ehe ja noch nicht vollzogen worden wäre. Diese Pläne wurden am Hof vertraulich behandelt und nicht in die Öffentlichkeit getragen. Heinrich zeigte sich etwa bei offiziellen Anlässen immer als guter Ehemann und behandelte seine Frau zuvorkommend. Nachdem am 20. Juni ein Großteil ihres Gefolges zurück in die Heimat aufgebrochen war, musste Anna nur vier Tage später unter dem Vorwand eines erneuten Pestausbruchs den Hof verlassen. In der Zwischenzeit hatte Heinrich sich schon in die 19 Jahre alte Catherine Howard, eine der Hofdamen seiner Frau, verliebt, weswegen er nun eine Beschleunigung der Scheidung von Anna forderte. Bereits am 10. Juli 1540 erklärte die Kirche die Ehe für nichtig und am 25. Juli erhielt Anna selbst die Kunde von ihrer Scheidung vom englischen König. Das große Problem an der Scheidung war für Heinrich vor allem der Bruder Annas, Wilhelm V., den es nicht zu verärgern galt. Deswegen brauchte Heinrich Anna für seinen Scheidungsplan: Anna erklärte sich mit allen im Zusammenhang mit der Scheidung stehenden Forderungen einverstanden und unterschrieb ihre formale Abdankung. Heinrich lobte dieses zuvorkommende Verhalten und erklärte sie deshalb zur „King's Beloved Sister“. Zudem sollte Anna ihren Bruder selbst von der Scheidung unterrichten, wogegen sie sich zunächst widersetzte. Allerdings konnte sie dem auf sie ausgeübten Druck nicht standhalten und schickte letztlich einen vorgefertigten und versöhnlich klingenden Brief an ihren Bruder. Auch in späteren, von Anna selbst geschriebenen Briefen rief sie ihren Bruder immer wieder dazu auf, in dieser Sache nichts zu unternehmen, was ihr Leben in Gefahr bringen könnte. Immer wieder hielt sie sich dabei vor allem die Schicksale ihrer Vorgängerinnen vor Augen.

Trotz der Scheidung unterhielt Anna auch weiterhin Kontakt zum König und verstand sich vor allem mit ihrer Nachfolgerin Catherine Howard, die Heinrich noch im Juli geheiratet hatte, gut. Als „King's Beloved Sister“ stand sie direkt hinter der Königin und den königlichen Kindern und noch vor allen anderen Staatsdamen. Zudem erhielt Anna vom König eine großzügige Apanage, zwei vollständig ausgestattete Residenzen in Richmond und Bletchingley und ausreichend Schmuck. Während Beobachter den Eindruck hatten, Anna würde wie in Gefangenschaft leben, vertraute Anna weiterhin auf den König und beurteilte sein großzügiges Verhalten mehr als persönliche Anteilnahme und weniger als Berechnung. Im Jahr 1541 wurde sie allerdings zur Lehenstreue gegenüber dem König verpflichtet, was für Anna bedeutete, dass sie bei einem dauerhaften Verlassen Englands ihres gesamten Besitzes beraubt worden wäre.

Nach der Hinrichtung Catherine Howards 1542 hoffte Anna von Kleve, dass sich der König ein zweites Mal ihr zuwenden könnte, was dieser aber kategorisch ablehnte. Anna bedauerte dies zutiefst. Als Heinrich im Januar 1547 starb, wurde das Vermögen Annas neu geregelt und sie verlor die Domäne Bletchingley. Aufgrund dieser Veränderungen äußerte Anna immer wieder ihre Unzufriedenheit und wollte England verlassen, was ihr jedoch nicht gestattet wurde.

Im Jahre 1557 erkrankte Anna von Kleve schwer und starb nach monatelangem Siechtum am 16. Juli des Jahres mit 42 Jahren. Die mittlerweile zur Königin gekrönte Maria I. Tudor ließ Anna in der Westminster Abbey beisetzen und ein prunkvolles Grabmal für sie errichten.

Anna von Kleve überlebte nicht nur Heinrich VIII. selbst, sondern auch alle seine Ehefrauen durch ihr kluges, aber auch stark unterwürfiges Verhalten mit welchem sie sich aus der lebensbedrohlichen Situation rund um die Scheidung – man beachte die Schicksale ihrer Vorgängerinnen – rettete, um danach ein unbeschadetes und im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbständiges Leben in England zu führen.


Zum Weiterlesen:
- Erbe, Michael: Heinrich VIII., in: Peter Wende (Hg.): Englische Könige und Königinnen. Von Heinrich VII. bis Elisabeth II., München 1998, S. 30-47.
- Fraser, Antonia: The Six Wives of Henry VIII., London 1992.
- Panzer, Marita A.: Englands Königinnen. Von den Tudors zu den Windsors, Regensburg 2001.
- Starkey, David: Six Wives. The Queens of Henry VIII., London 2003.

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